Benjamin Rudiger lässt sich von Schicksalsschlägen nicht unterkriegen. Der Kirchzartener ist ein lockerer, sympathischer Mensch, der voller Lebensfreude steckt. Eine wichtige Kraftquelle für ihn ist der Sport in der freien Natur.
In der Mountain Bike-Hochburg Kirchzarten entwickelte Benjamin Rudiger schon in jungen Jahren eine Leidenschaft für das Fahrrad. So war es nur naheliegend, dass er sich nach der Schulzeit komplett dem Radsport widmete, zur Bundeswehr ging und als Sportsoldat Cross-Country-Profi wurde.
Foto: © Corina Beha
Ein Wettkampf
In der Altersklasse U23 konnte er zweimal die deutsche Meisterschaft gewinnen. Hinzu kamen regelmäßig gute Platzierungen bei Welt- und Europameisterschaften sowie ein Kaderplatz im Perspektivteam für die Olympischen Spiele in Peking 2008. „Ich glaube, dass ich auf einem ganz guten Weg war“, sagt Benjamin Rudiger im Rückblick. Doch dann bekam er 2006 im Alter von gerade einmal 21 Jahren die Diagnose Lymphdrüsenkrebs. Nach dem anfänglichen Schock folgte der Kampf. Der Leistungssportler begriff seine Krankheit als eine Herausforderung, einen Wettkampf. Während der Chemotherapie wurde ihm von Anstrengungen abgeraten. Dennoch ging Benjamin Rudiger viel in der Natur walken – auch wenn es ihm schlecht ging. Das war zwar oft mit großen Anstrengungen verbunden. Hinterher fühlte er sich aber besser. Irgendwann waren die Abläufe dann automatisieret, gehörten Bewegung und Natur fest zum Alltag dazu. „Diese Einstellung hilft mir bis heute“, sagt er. Schließlich konnte der Kirchzartener den Kampf gegen den Krebs gewinnen und wieder auf das Fahrrad steigen. Die Medizinier waren überrascht, wie schnell er wieder in Form kam.
Nachdem seine Zeit bei der Bundeswehr zu Ende ging, begann Benjamin Rudiger ab 2008 eine Banklehre und machte anschließend den Betriebswirt. Zudem gründete er zusammen mit Doris Weiss den Verein RIDE2LIVE, der an Krebs erkrankte Menschen in der Region unterstützt. „Während meiner Erkrankung habe ich viel Unterstützung erhalten und wollte damit etwas zurückgeben“, erläutert Benjamin Rudiger, der bis heute Vorsitzender von RIDE2LIVE ist.
Im Jahr 2010 beendete der Kirchzartener schließlich seine Radsportkarriere. Zwar brachte er nach seiner Genesung „ordentliche Leistungen“. Doch körperlich und mental fehlten die letzten Prozentpunkte, um wieder ganz oben angreifen zu können. Seiner Liebe für den Radsport tat dies keinen Abbruch, den er weiterhin mit viel Leidenschaft in seiner Freizeit ausübte. 2015 folgte der nächste Schicksalsschlag. Benjamin Rudiger war an einem angenehmem Januartag mit seinem Cousin auf dem heimischen Trail unterwegs. Als er stoppte, um ein Weidegatter zu öffnen, kippte er nach vorne zur Seite weg und rollte einen kleinen Abhang hinunter. Dabei fiel er vermutlich mit dem Rücken auf einen Stein oder einen anderen harten Gegenstand und brach sich den siebten und achten Brustwirbel. Auch das Rückenmark war betroffen. Im Rückblick erinnert er sich, wie ein „nasser Sack und ohne Körperspannung“ gefallen zu sein. „Vielleicht wären es sonst nur ein paar Schürfwunden gewesen. Aber Hätte, Wäre, Wenn, es ist müßig darüber nachzudenken“, sagt Benjamin Rudiger. Als er auf seine unnatürlich von seinem Körper abgewinkelten Beine hinunterblickte, wusste er sofort, dass da „etwas ungut“ und die Wirbelsäule betroffen ist. Die Schmerzen beschreibt er als die schlimmsten, die er jemals in seinem Leben erfahren hat, so als ob ein glühender Stacheldraht um den Oberkörper zusammengezogen wird. Es folgten der Transport mit dem Helikopter in die Klinik und eine Operation. Die Ärzte machten ihm noch Hoffnung, doch die Prognose erwies sich als falsch. Benjamin Rudiger war querschnittsgelähmt.
Sport und Natur als Kraftquelle
Es folgte die Reha. „Ich war psychisch erst einmal down und es gab Momente, in denen ich kein Bock mehr hatte“, sagt Benjamin Rudiger. Nach der durch die gesetzliche Krankenkasse gezahlten Reha fühlte er sich noch nicht fit, weder körperlich noch geistig. Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Aus der Radsport-Szene erfuhr er eine große Solidaritätswelle, der sich unter anderem der Schweizer Olympiasieger und Weltmeister Nico Schurter anschlossen. Es wurden Spenden gesammelt und damit eine Reha im Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nowil finanziert. In der Reha lernte er Menschen kennen, denen es „noch schlechter ging und bei denen es auch irgendwie geht“. Daraus folgerte er für sich, dass er kein Recht hatte, einfach aufzugeben. Zudem wurden ihm in der Reha neue Perspektiven aufgezeigt. So lernte er beispielsweise Möglichkeiten kennen, weiterhin Sport treiben zu können. Vor allem das Handbike hatte es ihm angetan. „Für jeden Querschnittsgelähmten ist das Schlimmste, sich nicht bewegen zu können“, erklärt Benjamin Rüdiger. Aber mit dem Handbike hat er dieses Stück Lebensqualität. Mit dem Rad unterwegs zu sein, in die Natur einzutauchen, sich auszupowern und danach dieses wohlselige Gefühl zu haben, das jeder Sportler kennt, macht für ihn den Reiz daran aus: „Ich fühle mich besser, je mehr Sport ich mache.“
Benjamin Rudiger hat sich immer wieder ins Leben zurückgekämpft. Gleichzeitig hat er aber auch Unterstützung erfahren. Deshalb ist es ihm generell wichtig, etwas zurückzugeben. Er engagiert sich immer wieder ehrenamtlich – zum Beispiel beim „Ultrabike“, einem Kirchzartener Mountain Bike-Event, bei dem jährlich an einem Wochenende im Sommer im Schwarzwald um Bestzeiten kämpfen. Das Ereignis ist überregional bekannt und lockt jedes Mal tausende Teilnehmer an. Dementsprechend groß ist der zeitliche Aufwand dahinter. Von 2017 bis 2022 organisierte Benjamin Rudiger das Event. Irgendwann hatte er allerdings neben Ehrenamt und Beruf keine Zeit mehr für sportliche Betätigung in seiner Freizeit. Weil der Sport jedoch immens wichtig für ihn ist und ihm Lebenskraft gibt, übergab er die Organisation des Ultrabike schließlich an einen Nachfolger. Darüber hinaus engagiert sich Benjamin Rudiger beispielsweise an Schulen, hält Vorträge und ist seit 2019 in der Kirchzartener Kommunalpolitik sowie im Gemeinderat aktiv. Er sieht sich selbst als heimatverwurzelt an und sagt: „Ich weiß was ich meinem Heimatort zu verdanken habe.“ Er betont, dass ihm „viele Dinge nicht egal“ seien. Statt sich zu beschweren, möchte er Dinge verändern und etwas zum Besseren beitragen. Ein echter Kämpfer eben.
RIDE2LIVE e.V.
Hansjakobstraße 16
79199 Kirchzarten
Website: www.ride2live.eu
Spendenkonto:
Sparkasse Hochschwarzwald
IBAN: DE92 6805 1004 0004 4986 89
BIC: SOLADES1HSW
Stichwort: „Spende“
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