Im Sommer sind viele Menschen sportlich aktiv. Manche vielleicht nach einer längeren Pause oder einer COVID-19-Erkrankung. Was gibt es dabei zu beachten? Darüber sprechen wir mit dem Freiburger Kardiologen Dr. Dirk Radicke.
Im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung sowie den mRNA-Impstoffen kommt es in einigen Fällen zu Herzmuskelentzündungen (Myokarditis). Gibt es mittlerweile Studien, die belegen, wie häufig diese Entzündungen auftreten?
Es gibt einzelne Studien, die eine Orientierung hinsichtlich der Häufigkeit bieten. Das Problem der weltweiten Erfassung ist die unscharfe Definition der Myokarditis, die Evaluation in nicht repräsentativen Populationen sowie ein erheblicher Mangel bei der Systematik der Datenerfassung.
Die Erfassung über 48 Gesundheitseinrichtungen der USA erbrachte einen Anteil von 450 Fällen von Myokarditis pro 1 Million COVID-19- Erkrankten. Tatsächlich dürfte die myokardiale Beteiligung höher sein, die fulminante Myokarditis (schwere Form, Anm. d. Red.) ist jedoch sehr selten. Frauen haben eine 10fach niedrigere Rate als Männer. In Vergleich dazu muss man die jährliche Inzidenz von 1,8 Millionen oder 22 Fälle pro 100.000 Menschen mit einer viralen Myokarditis (aufgrund einer viralen Infektion, Anm. d. Red.) weltweit setzen.
Ebenfalls sollte nicht unerwähnt bleiben, dass bis zum 11. Juni 2021 40 Fälle einer impfsensitiven Myokarditis (aufgrund einer Corona-Impfung, Anm. d. Red.) pro 1 Million Geimpfter jünger als 30 Jahre und 2,4 Fälle pro 1 Million Geimpfter älter als 30 Jahre erfasst wurden. Diese Myokarditiden waren deutlich schwächer ausgeprägt und heilten im Mittel innerhalb von drei Monaten ab. Daher wird auf jeden Fall eine Impfung empfohlen. Auch dann, wenn ein Mensch an einer Myokarditis durch das SARS-CoV-2 Virus schon erkrankt war.
Die Myokarditis ist jedoch nur ein Aspekt der akuten und chronischen Myokardschädigung im Rahmen einer COVID 19 Erkrankung. Je nach Vorbelastung und Prädisposition können sich akute und chronische Durchblutungsstörungen (Myokardischämie), verschiedene Formen der Herzschwäche (Herzinsuffizienz), Bluthochdruck und anderes mehr entwickeln.
Was genau ist eine Herzmuskelentzündung?
Bei der Herzmuskelentzündung kommt es entweder durch direkten Eintritt des Virus in die Herzmuskelzellen oder durch sogenannte Entzündungsmediatoren zu einem Funktionsverlust bis hin zu einer Zerstörung der Herzmuskelzellen. Zunächst wird die Zelloberfläche durchlässig für Eiweiße (eben diese Entzündungsmediatoren), die dann auf molekularer Ebene Veränderungen der physikalischen und chemischen zellulären Prozesse herbeiführen.
Was sind die typischen Merkmale einer Herzmuskelentzündung?
Die Herzmuskelentzündung geht mit einer sehr unspezifischen Symptomatik einher. Diese können Herzrhythmusstörungen, Brustschmerzen und Luftnot als Hauptsymptome sein. Ein entscheidender Hinweis ist dabei die Belastungsabhängigkeit der Beschwerden.
Bei der Diagnostik stehen das EKG und die Bestimmung spezieller Herzmuskelenzyme (z.B. hoch-sensitives Troponin T, pro-BNP), die nur bei einer Schädigung des Herzmuskels freigesetzt werden im Vordergrund. Bei Verdacht wird dann ein Ultraschall des Herzens durchgeführt. Nur bei einer Erhöhung der Bio-Marker und dem dringenden Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung wird eine Kernspintomographie (MRT) durchgeführt.
Den endgültigen Beweis erbringt allerdings nur die Biopsie des Herzmuskels. Diese würde man aber nur bei einer therapeutischen Konsequenz (antivirale Therapie und Immuntherapie) durchführen, da sie mit schweren Risiken einhergehen kann. Daher erfolgt diese Untersuchung nur bei Menschen, die eine fulminante Herzmuskelentzündung haben und gegebenenfalls sogar mittels Herz-Lungen-Maschine behandelt werden müssen.
Welche Behandlung erfolgt bei einer Herzmuskelentzündung?
Bei einem sicheren Nachweis einer Herzmuskelentzündung sind Schonung, Ruhe und somit auch eine absolute Sportpause die ersten Maßnahmen.
Je nach Schweregrad muss eine medikamentöse Therapie mittels ACE-Hemmer, Betablocker bis hin zu einer leitliniengerechten Herzinsuffizienztherapie begonnen werden. In sehr seltenen Fällen muss das Herz durch eine mechanische Unterstützung (Kunstherz, ECMO) entlastet werden.
Wie lange sollte ich nach einer COVID-19-Erkrankung mit dem Sport aussetzen?
Ohne das Vorliegen einer Myokarditis empfehlen wir aktuell, entsprechend dem Konsensus der Fachgesellschaften eine mindestens siebentägige Pause und darüber hinaus auf jeden Fall bis zur kompletten Symptomfreiheit. Im Amateur- und Breitensport empfehle ich persönlich eine längere Sportpause einzuhalten, die vom individuellen Profil abhängt. Da nicht wenige Menschen erst zweizeitig eine Leistungsminderung und Beschwerden entwickeln, empfehle ich außerdem im ersten Monat nach einer COVID- 19 Erkrankung mit mildem Verlauf (Erkältungssymptomatik, Fieber) nur im Grundlagen-Bereich zu trainieren.
Angenommen, ich beginne als Hobbysportler nach einer COVID-19-Erkrankung wieder mit dem Sport und bin fühle mich dabei körperlich nicht wohl. Bei welchen Anzeichen sollte man einen Arzt aufsuchen?
Bei jeglicher Art der sich wiederholenden belastungsabhängigen Beschwerden: Brustschmerz, Atemnot und Herzrhythmusstörungen bei körperlicher Anstrengung.
Sie bieten in Ihrer Praxis sportmedizinische Checks an. An wen richten sich diese Untersuchungen?
Menschen, die planen, erstmals sportliche Aktivitäten aufzunehmen, Menschen, die an einem sportlichen Wettbewerb teilnehmen wollen, aber auch Menschen, die regelmäßig und ambitioniert sportlich aktiv sind.
Ebenso ist dies Menschen mit bestimmten Risikofaktoren, wie familiäre Prädisposition, hohe Stressbelastung im Alltag und bei der Arbeit, Übergewicht, Fettstoffwechselstörung und Rauchen, zu empfehlen.
Welche sportmedizinischen Untersuchungen bieten Sie im Detail an?
Wir beraten mit den Interessierten zunächst, ob die Frage nach der Gesundheit gestellt wird, oder dem Fitnessstand, oder ob eine Optimierung des Trainings angestrebt wird.
Entsprechend dieser Fragestellungen bieten wir vom Ruhe-EKG, mit dem entsprechend der aktuellen Studienlage 60% des Risikos für einen plötzlichen Herztod reduziert werden kann, über das Belastungs-EKG, Lungenfunktionsuntersuchung und Herz-Ultraschall, bis hin zur Laktat-Leistungsdiagnostik auf Ergometer und Laufband mit Trainingsberatung an. Ein Gespräch und eine körperliche Untersuchung sind bei allen Untersuchungsmethoden selbstverständlich.
Herr Dr. Radicke, herzlichen Dank für das Gespräch!
Über unseren Experten:
Nach seinem Studium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg machte Dr. Dirk Radicke eine Ausbildung zum Facharzt für Innere Medizin und arbeitete als Kardiologe am Universitätsspital Zürich sowie an der Albert-Ludwis-Universität Freiburg. Seit 2009 ist er als Facharzt für Innere Medizin und Kardiologe in Freiburg niedergelassen. Zusammen mit seinem Kollegen Dr. Thomas Kaspar führt er die Praxis 360° Cardio Freiburg.
Kontakt: 360° Cardio Freiburg ǀ Bismarckallee 9 ǀ 79098 Freiburg im Breisgau ǀ Tel. 0761 3 64 89 ǀ www.360-cardio-freiburg.de
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